von traderman » Freitag 28. Juli 2006, 17:35
@reboot:
Hin und wieder sage ich zu Kollegen, dass die Börse mein größter "Zen-Meister" ist. Nicht, dass ich plötzlich zum Buddhismus übergetreten bin, aber die Börse hat mich viele Dinge gelehrt, die auch im alltäglichen Leben Sinn machen. Eine großer Teil meiner Gelassenheit und meines lächelndem Optimismus habe ich der Börse zu verdanken. Einfach, weil ich durch sie gelernt habe, mich eben nicht den Massenhysterien hinzugeben. Und, bei schlechten wie guten Nachrichten zu hinterfragen, ob es nicht auch eine ganz andere Sicht der Dinge gibt. In jeder schlechten Nachricht steckt etwas Gutes und in jeder guten Nachricht etwas Schlechtes.
Traden ist Demut
Ein ganz wichtiger Punkt beim Traden ist Demut und Widerstandslosigkeit. Das meiste Geld wird verloren, weil man seiner eigenen Einschätzung mehr traut, als dem, was der Markt uns zeigt.
Wie oft werden Stops ausgeweitet, aus dem Markt genommen, weil man eine feste Überzeugung hatte. Wie oft kam dann der Satz, wäre ich doch früher ausgestiegen.
Ich habe keine Überzeugung. Ich habe Wahrscheinlichkeiten, Ideen, Vermutungen, Tendenzen, Erfahrungswerte. Aber ich habe auch das unbedingte Wissen, dass letzten Endes der Markt immer Recht hat, egal was ich auch denke oder gedacht habe.
Gerade beim kurzfristigen Traden müssen Sie sehr demütig sein. Sie gehen eine Position ein, setzten einen kurzfristigen Stop. Der Markt steigt nicht, wie erwartet, sondern er fällt und löst Ihren Stop aus. Wenn Sie sich jetzt ärgern, haben Sie für diesen Tag kaum noch eine vernünftige Chance zu traden.
Viel besser ist es in einem ersten Schritt zu begreifen, dass Sie mit diesem Verlust-Trade um eine der vielen Erfahrungen reicher sind, die jede für sich genommen, unabdingbar wichtig ist, um Sie erfolgreich oder noch erfolgreicher zu machen. Denn nur über Schmerzen lernt man die Börse kennen. Warum sich also beklagen? Seien Sie eher dankbar!
Ein zweiter Schritt ist es, sich zu fragen welche "Lehre" hinter diesem Trade vielleicht verborgen liegt. Gab es etwas, was ich nicht wirklich beachtet habe, wie waren meine Stimmungen, kann ich beim nächsten Mal etwas besser machen? Traden ist lernen, lernen und lernen.
Widerstandsloses Traden
Oft genug hat man nicht mal einen Fehler gemacht. Der Markt bewegt sich einfach in verschiedene Richtungen. Auch dann besteht kein Grund sich aufzuregen, über den Markt, über unerwartete Nachrichten etc. Das wäre Widerstand. Ein Widerstand gegen die normale und alltägliche Realität des Tradens. Widerstand führt jedoch nur zu noch mehr Widerstand. Wenn Sie sich Ärgern, dann entsehen die Fehler, die schmerzhaft werden. Wenn Sie Angst kriegen, ist sowieso alles aus. Mit Angst kann man nicht traden. Wenn Sie mit sich hadern, sind Sie nicht bei der Sache und verpassen die besten Chancen – etc.
Bei einem vernünftigen Geldmanagement gehören Verluste dazu. Sie sind einkalkuliert, sie sind so normal wie Regen im Sommer.
Meditatives Traden
Gerade beim Daytrading, wenn Sie Futures und ähnliches traden, ist die geeigneteste Stimmung eine Art fließende Hingabe. Ihr Verstand ist zwar wach, klar und aufnahmefähig, aber der Körper und die Stimmung vollkommen durchlässig, offen für alles was passiert, frei von Vorurteilen (bullish/bearish), Einschätzungen und Emotionen. Der Geist versucht sich jeder vorgefertigten Meinungen zu verwehren, er ist reine Beobachtung und erkennt was geschieht.
Wenn Sie in diese Stimmung geraten, erhalten Sie ein intensives Gefühl für den Markt. Sie spüren geradezu, wenn die Kurse nicht mehr fallen wollen oder wenn der Markt steigen will. Sie werden quasi Eins mit dem Markt.
Leider ist es nicht leicht in diesen fast meditativen Zustand zu kommen. Zu viele Emotionen wollen sich in den Vordergrund drängen, Angst, Gier und Zweifel – wir kennen das alle zu Genüge.
Ich weiß, dass in amerikanischen Tradingfloors meditave Musik gespielt wird, um diesen Zustand zu erleichtern. Ich neige selbst dazu, ruhige Musik zu hören, wenn ich intensiv trade, um keine Emotionen zuzulassen. Manchmal stellt sich dann dieser fließende Zustand ein. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl intensiver Wahrnehmung – eine zeitlose Leere und stille Begeisterung. Und trotzdem gehen auch dann hin und wieder Trades daneben – who cares ...
Freitag 10.02.2006, von Jochen Steffens