Dieen Artikel finde ich absolut lesenswert - vielleicht auch für den einen oder anderen interessant
Doch eine Topbildung?
von Jochen Steffens
Das ist die Frage, die sich nun die Investoren stellen und die ich hier beantworten will, wenn auch nicht so, wie Sie es erwarten.
Es gibt aktuell viele "Angstfaktoren". Das Schließen der amerikanischen Botschaft in Saudi Arabien hat den Ölpreis weiter getrieben, wie auch das "Nein" des Irans zu den neuen europäischen Vorschläge zum iranischen Nuklearprogramm. Aus diesen Gründen sorgen sich immer mehr Investoren um die durch den immer weiter steigenden Ölpreis getriebene Inflation in den USA und dem damit verbundenen Zinserhöhungsdruck der FED.
Angstkulisse, notwendige Normalität in einem Trend
Natürlich muss durch Nachrichten eine ausreichende "Angstkulisse" entstehen, damit Anleger sich im Taumel der Bullenstimmung von Ihren Aktien trennen und Gewinn realisieren. Es müssen einfach Argumente auftauchen, die stärker als die Gier sind und aus Gier wieder Angst machen. Denn nur Angst wird Anleger dazu bringen, zu verkaufen und so eine gesunde Konsolidierung einzuleiten. Ohne solche Nachrichten würden Kurse immer nur weiter steigen. Die Logik oder die Bedrohung der Angstkulisse bedeutet jedoch nicht zwingend, dass wir gerade eine Topbildung erleben.
So einfach kann es sein oder die fehlende Kristallkugel
Und nun zu dem Geheimnis, wie Sie rauskriegen können, ob die aktuellen Nachrichten eine Konsolidierung verursachen, oder stark genug sind, ein Top auszubilden: gar nicht!
Denn weder Sie noch ich können in den meisten Fällen vorhersagen, wie sich die Nachrichten weiter entwickeln: Sollte nun zum Beispiel der Iran doch endgültig nachgeben, würde der Ölpreis sinken, die Märkte wieder steigen. Andere Nachrichten können hingegen den Ölpreis noch weiter steigen lassen. Wenn es z.B. in Saudi Arabien anfängt zu kriseln. Oder Wirbelstürme die Ölplattformen im Golf von Mexiko zerstören. Auch ein Revolution in China, ein Krieg in Nordkorea oder der plötzliche Tod von Alan Greenspan und insbesondere das Unvorhersehbare kann bearishe Lawinen auslösen.
Ich besitze keine Kristallkugel, selbst wenn ich eine besäße, ich wüsste nicht, sie zu benutzen (selbst wenn ich wüsste Sie zu benutzen, ich würde es nicht tun, wer will schon wissen, was die Zukunft bringt?).
Ich weiß nicht, warum so wenige Anleger verstehen, dass sie die Börse, den Lauf der Geschichte nicht vorhersagen können. Ich weiß nicht, warum so viele Investoren sich unsinnigerweise die Mühe machen, hochkomplexe Systeme zu entwickeln, welche die Börse doch "genau" vorhersagen können. Ich weiß auch nicht, warum so viele Menschen voller Überzeugung schreiben können, das sei das Top, und andere ebenso überzeugt davon sind, das sei nicht das Top.
Ich weiß nur, dass diejenigen, die richtig liegen, sich in ihrer Person bestätig fühlen werden, wenn Sie richtig liegen. Dabei völlig übersehen, dass es nicht ihrer hervorragenden Intelligenz zuzuschreiben ist, sondern dem Ausbleiben von Faktoren, die eine andere Richtung an den Börsen verursachen.
Die Angst vor dem Chaos
Diese Hoffnung der Investoren, die Börse beherrschen, verstehen oder vorhersagen zu können, ruiniert diese Anleger, nicht die Realität. Denn die Realität ist einfach nur Chaos. Es gibt mittlerweile in der modernen Psychologie einige Autoren, die aufzeigen, wie unfähig der Mensch ist, sich dem Chaos, das ihn umgibt, zu stellen. Welche Tricks er anwendet, damit er sich in Sicherheit wähnen kann, um dem übermächtigen und allgegenwärtigen Chaos der Realität nicht ins Auge blicken zu müssen (z.B. Stephen Wolinsky).
Dabei ist das Chaos, wenn man es sich anschaut, durchaus "beherrschbar". Man muss dem Chaos nur eine gewisse Struktur "unterstellen". Sozusagen bekämpft man das Chaos mit einer "bewusst das Chaos ignorierenden Struktur". Das funktioniert tatsächlich. Dabei gilt es lediglich Wahrscheinlichkeiten zu beherrschen. Sie können im Chaos entlang der Wahrscheinlichkeiten immer wieder Strukturen erkennen, denen sie so lange folgen sollten, bis sich diese Strukturen wieder im Nebel des allgemeine Chaos auflösen. Die Kunst besteht darin, die Strukturen, denen eine innere Wahrscheinlichkeit zugrunde liegt, von denen zu unterscheiden, die einfach nur völlig zufällig sind.
Vereinfacht ausgedrückt:
Sie erkennen einen Trend, wie aktuell im Dax, der damit zu tun hat, dass der Dax zu anderen Indizes deutlich unterbewertet ist. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er sich besser als andere Indizes entwickelt, wohl wissend, dass jeden Tag Umstände auftreten können, die alles zunichte machen. Sie folgen also diesem Trend, so lange er weitergeht, bis sich diese Struktur: "Steigender Dax" wieder im allgemeinen Matsch der Zufälligkeiten auflöst. Wenn Sie kein Lust/Zeit haben, solche wahrscheinlichkeitsbegründeten Strukturen zu suchen, können Sie es sich noch einfacher machen: Wir steigen seit Monaten sehr stark an. Das bedeutet, es gibt viele Investoren, die ausreichend Gründe sehen, in den Dax zu investieren. Diese Gründe werden sicherlich auch vorhanden sein, denn nicht alle Investoren sind Idioten.
Erst wenn immer mehr Gründe auftauchen, die bei immer mehr Menschen einen Verkaufreiz auslösen, wird die Börse fallen. Ob das nun eine Konsolidierung ist oder ein Top, hängt davon ab, ob später noch mehr Nachrichten/Information auftauchen, die dazu führen, dass noch mehr Verkaufsreize entstehen, die noch mehr Menschen zum Verkauf verleiten. Es gibt hier mehrere sensible Punkte, bei denen dann sogar die fallenden Kurse selbst zu Verkaufsanreizen werden (charttechnische Unterstützungszonen).
Bullenstimmung und fallende Kurse?
Ich will hier einmal mit eine großen Illusion aufräumen. Im März 2000 war die Stimmung der Masse zwar extrem bullish, doch war sie es wirklich? Dann erklären Sie mir bitte einmal, warum seit diesem Zeitpunkt beständig über 3 Jahre mehr Verkäufer als Käufer auftauchten? Waren die Verkäufer alles Idioten, die trotz ihrer bullishen Einstellung verkauft haben? Vielleicht in einem Anfall von Schizophrenie? NEIN! Jeder Verkäufer hat seine ganz persönlichen Information und Motivationen, aus denen heraus er verkauft hat. In der Masse gab es also mehr bearishe Informationen und Motivationen als bullishe – trotz des Bullentaumels ... Das mag schwierig zu begreifen sein, ist aber unleugbar.
Es kamen dann noch an entscheidenden Marken Nachrichten, die noch mehr Menschen zum Verkaufen verleitet haben. Fallende Kurse führten dann zu weiteren Verkäufen, etc., führten aber auch zu weiteren bearische Nachrichten (Kurse machen Nachrichten). Einige Anleger sahen sogar eine gute Chance, auf fallende Kurse zu setzten. Machen wir uns also nichts vor. Den Kursverlust in den ersten Monaten der Baisse lag eine Vielzahl von bearishen Informationen/ Motivationen zugrunde.
Doch erst als sich keine neuen higher Highs (höhere Hochs) mehr bildeten, und immer neue lower Lows (tiefere Tiefs), musste man einfach vorsichtig werden. Erfahrene Börsianer haben dann auch reagiert, was aber die Kurse weiter ins Trudeln brachte, dann erst. Deswegen ging der Weg in den ersten Monaten der Baisse auch fast seitwärts mit leichter Abwärtstendenz. Zum Schluss kam es zu immer häufigeren "Notverkäufen", erst als auch die Großen aussteigen mussten, war der Markt bereinigt.
Auf die momentane Situation angewendet:
Noch befinden wir uns in einer einfachen, notwendigen, gesunden Konsolidierung. Es gibt noch keinen einzigen Hinweise für ein Top. Ob aus dieser Konsolidierung ein Top wird, entscheidet sich erst viel später. Und zwar dann, wenn keine neuen Hochs mehr ausgebildet werden, aber immer tiefere Tiefs. Das ist alles.
Wenn Sie das nicht befriedigt, Sie also von mir erwarten, dass ich genau am Hoch sage: "So Jungs, das war nun das Top, verkauft alles!", dann suchen Sie sich lieber einen dieser Börsenpropheten. Wenn Sie Glück haben, treffen Sie auf den, der dieses Mal ebenfalls Glück hat und richtig liegt. Doch rechnen Sie damit, dass er von diesem Tag an, bestätigt durch seinen Erfolg, ständig irgendwo irgendwelche Tops findet.
Ich beobachte da lieber die Konsolidierungen, denn nur diese werden wirkliche Hinweise auf den weiteren Fortgang der Märkte geben.