Klinsmann, der perfekte Trader
von Jochen Steffens vom investor daily
Als Trader kann ich Klinsmann verstehen und ihm
zu dieser Entscheidung nur gratulieren. Als „Fan“ kann ich das natürlich nicht verstehen.
Allerdings bin ich mir nach dieser Entscheidung sicher,
Klinsmann wäre wahrscheinlich ein guter Trader.
Kaufe, was keiner haben will, sofern Potential zu erkennen ist
Er kaufte eine Aktie, die keiner haben will, die zu
diesem Zeitpunkt extrem unterbewertet war:
Die deutsche Nationalmannschaft. Klinsmann wurde Trainer,
als keiner mehr die deutsche Mannschaft trainieren wollte,
weil sie am Boden lag. Antizyklisch gesehen ein perfekter Einstieg.
Es konnte quasi nur besser werden. Und man kann nun nicht sagen,
dass es in Deutschland keine guten Spieler gäbe.
Er hielt diese Aktie, bis Sie fast den Hochpunkt erreicht hatte.
Nun musste er sich überlegen: Verkaufen oder darauf hoffen, dass sie noch das eigentlich „Tradingziel“, den WM-Sieg, erreicht.
Das Chance/Risiko Verhältnis
Ein Trader würde den zurückgelegten Weg mit dem
noch möglichen Weg vergleichen und feststellen, dass das in
keinem Verhältnis mehr steht.
Das Chance/Risiko Verhältnis steht einfach in keiner Relation. Er müsste die
anstehende Konsolidierung (EM-Qualifikation) aussitzen und auf ein kleines Zwischenhoch bei der EM (EM-Sieg) hoffen.
Dann würde nur noch viel beten helfen, dass das jetzige
Hoch bei der nächsten WM in vier Jahren überwunden wird - schließlich hat eine WM auch immer mit Glück zu tun.
Das sind viel zu viele Risiken auf einem
Weg mit noch mehr Stolpersteinen – für einen Trader viel zu riskant.
Also lieber jetzt verkaufen, am vielleicht vorläufigen
Hoch und den Gewinn einsacken.
Klinsmann wird so in die Geschichte eingehen,
als einer der kam, sah und siegte.
Das bisher gebundene Kapital (Arbeitskraft, Ehrgeiz, Know How, etc,) ist wieder frei und er kann sich eine neue Aktie suchen,
die am Boden liegt – evtl. die US-Mannschaft?
Das Ego hat viele in den Ruin getrieben
Die wenigsten Menschen würden es schaffen, nach so einem Triumph auszusteigen.
Das bauchgepinseltes Ego würde nach mehr
Bestätigung nach Größerem gieren. Etwas, dass schon viele ruiniert hat (gerade an den Börsen). In so einer Situation auszusteigen,
und dann sich auch noch ein halbes Jahr Ausszeit zu gönnen,
zeigt Klasse und ist aus Sicht eines Traders schlichtweg „Perfektion“.
Eine Perfektion, deren Auswirkung mich
allerdings traurig werden lässt – dem deutschen Fußball wird Klinsmann mehr fehlen,
als sich die meisten wohl vorstellen können.
Hin und wieder als Erinnerung
Ich kann Ihnen und mir nur dazu raten, bei manchen Trades einfach an Klinsmann zu denken.
Wenn eine Aktie gut gelaufen ist, dicke
Gewinne in den Büchern stehen, die Euphorie gerade den siedenden Höhepunkt erreicht,
kann es uns vielleicht nützen, wenn in diesem Moment das Wort „Klinsmann“ in unserem Kopf auftaucht.
Ein Art Klingel, die uns den Verkaufen-Button drücken lässt...
Was wird, weiß man nie
Und auch Jürgen Klinsmann weiß nicht, ob er vielleicht doch zu früh ausgestiegen ist.
Wer weiß, vielleicht wird diese Mannschaft unter
Löw die EM und die WM gewinnen. Man weiß es halt
einfach nie, wie weit e
ine Aktie noch laufen kann. Auch er wird sich dann
vielleicht ein wenig ärgern, wenn er zusehen muss,
wie die Mannschaft ein Freudenfest nach dem anderen feiert.
Aber genau das macht einen Trader aus:
Egal was in der Zukunft passiert, er weiß, der Ausstieg war perfekt – es hätte auch anders kommen können.
Den Gewinn hat er in der Tasche, verlieren
kann er nichts mehr und ein wenig Ärger ist weniger
schlimm als auf Null oder ins Minus zusammengeschrumpfte Gewinne.
Die Masse reagiert anders
Und noch eins zum Schluss dieses Themas:
Die meisten Menschen wären in die Aktie „deutsche Nationalmannschaft“ erst während der WM,
wahrscheinlich sogar erst nach dem Sieg des Halbfinales eingestiegen,
hätten noch etwas Glück gehabt mit
Sieg bei dem Spiel um den dritten Platz, würden nun nicht aussteigen und in eine fette Konsolidierung reingeraten.
Die Masse kommt halt immer zu spät...
Doch es ist nur zu verständlich
Dazu folgende Mail von einem geschätzten Leser, mit dem ich schon lange in Kontakt stehe:
Woher nehmen Sie nur die positiven Argumente?
Im Moment droht es doch überall auf den
Aktienmarkt einzuschlagen. Der Ölpreis wird wohl einige Bilanzen in den USA verhagelt haben.
Russland hat über Gazprom ein riesiges
Erdgasmonopol aufgebaut, da könnte es beim G8 ganz schön kriseln. Wirbelstürme, drohende Finanzkrisen in China,
Indien und Ungarn, kriegerische Drohungen überall wo
man sich nur denken kann, auch durch die letzten Ölreserven bedingt.
Wenn ich mir da überlege, was für Argumente
stehen denn dagegen? Auf Gewinnsteigerungen bei
den Unternehmen braucht man wohl vorerst nicht mehr hoffen,
zumal die Erwartungen sehr hoch sind.
Natürlich hat dieser Leser völlig Recht! Denken Sie jedoch auch hier an die deutsche Mannschaft, als Klinsmann diese
übernommen hat. Genau, wenn man sich so fühlt, wenn der Himmel voller dunkler Wolken scheint, ist an den
Börsen oft genug ein Boden nahe. Und natürlich
geht es mir nicht anders als diesem Leser.
Auch ich denke, was soll denn nun noch den Markt unterstützen? Ich sehe die Anschläge in Bombay,
ich sehe aktuell die drohende Eskalation
im nahen Osten, aber auch die geopolitischen Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Iran oder Nordkorea,
den Ölpreis, die Inflation, etc.
Mainstream-Meinung und Traderherz
Doch durch viele Jahre Erfahrung weiß ich eben, dass wenn meine Gedanken derart düster werden,
die Hoffnung auf einen Nullpunkt sinkt, dann bin ich
nicht der einzige, der so denkt. Der großen Masse der Marktteilnehmer wird es ebenso gehen. Und diese Masse liegt
halt fast immer falsch
(leider nicht immer, denn nichts an den Börsen ist "immer" so). Eben weil Menschen, die so denken natürlich nicht mehr investiert sind,
weil dann das Geld an der Seitenlinie steht,
weil dann kaum noch jemand verkauft, weil alle
schon verkauft haben, weil die Börse im tiefsten
Dunkel auf eine bessere
Zukunft tradet. Wer sich von diesem Mainstream-
Denken leiten lässt, wird auf Dauer zu den Verlierern gehören.
Wer es bei sich selbst enttarnt und zu seinem
eigenen Fühlen antizyklisch handelt, hat eine Chance.
Manches ist viel besser als gedacht
Und wenn ich mir anschaue, dass die USA, wie gestern berichtet, mal eben ihr Budget-Defizit um 127 Mrd. Dollar
durch erhöhte Steuereinnahmen senken kann,
wenn bald damit gerechnet wird, dass die Neuverschuldung auf
lediglich 1,3 % des US-BIPs sinkt
Den USA steht alles andere als das Wasser bis zum Hals. Offenbar scheint die massive
Verschuldung in der Krise nun den Effekt zu haben, dass das Geld wieder zum Staat zurückfließt.
Natürlich finden die Skeptiker, die damit
nicht gerechnet haben, nun neue Gründe, warum alles schlecht ist.
So wird angeführt, dass diese Gewinn
schließlich hauptsächlich Steuergewinne aus den wachsenden
Unternehmensgewinnen seien.
Diese könnten jedoch sinken und dann würde auch die Verschuldung wieder ansteigen.
Aber mal ehrlich, was sollen die auch anderes sagen:
Ich hatte Unrecht? Das können nur die aller wenigsten.
Also wird das Haar in der Suppe gesucht und gefunden.
Leider kein Weg für Deutschland
Leider gibt es in Deutschland nur Sparer und
Schuldengegner, da die meisten Menschen einfach nicht begreifen
wollen, dass Schulden bei einer
Privatperson etwas ganz anderes sind, als Schulden des Staates. Witzigerweise schafft es aber Deutschland mit seiner "Spar-Politik" (Defizitkriterien)
eben nicht das Defizit unter 3 % des BIPs zu bringen.
Die Arbeitslosigkeit bleibt hoch, auch dadurch bedingt.
Aber zu diesem
Thema red ich mir ja seit Jahren den Mund
fusselig – zwecklos – wir sind halt einfach
Erbsenzähler, Bürokraten und Steuerfetischisten....
Fazit:
Das alles heißt nicht, dass wir in den USA unbedingt schon heute den Boden sehen, oder morgen.
Es bedeutet nur, dass wir umso wachsamer
werden müssen, so düster es scheint und, dass wir ganz besonders wachsam
sein müssen, uns nicht von dieser hochansteckenden Mainstream-Meinung infizieren zu lassen.
von GILBERT » Mittwoch 22. März 2006, 14:20 
